Das Wolfsmädchen
Christian Hardinghaus
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Flucht aus der Königsberger Hungerhölle 1946
Im eiskalten Februar 1946 fasst die elfjährige Ursula Dorn einen fatalen Entschluss. Sie lässt ihre Familie in den Ruinen Königsbergs zurück, um sich selbst vor dem Hungertod zu retten. Seit Kriegsende sind in der von den Sowjets besetzten Stadt über 70 000 Deutsche durch Hunger, Krankheiten und Gewalt verstorben. Rund 20 000 verwaiste Kinder ziehen bettelnd durchs nördliche Ostpreußen, doch sie finden nichts mehr. Felder und Gärten sind abgegrast, Hunde und Katzen geschlachtet.
Inmitten Königsbergs werden noch immer Menschen ermordet und bis aufs Skelett abgemagerte Frauen vergewaltigt, erfrorene Säuglinge bleiben in ihren Kinderwagen zurück. Ursula erträgt dieses menschliche Elend nicht mehr. Sie schleicht sich in einen russischen Güterzug und fährt bis nach Kaunas, wo litauische Familien sich um verhungernde Kinder aus Ostpreußen kümmern. Rund 5000 gelingt bis 1947 die Flucht in ein Land, das sie mit dem Nötigsten versorgt und schützt. Ursula kommt zu Kräften. Mithilfe eines Lehrers und eines Soldaten schafft sie es, in einer spektakulären Rückreise auch ihre Mutter zu befreien. Ihre Geschwister allerdings muss sie zurücklassen. Und auch das gelobte Land verändert sich. Litauische Partisanen führen einen erbarmungslosen Krieg gegen die sowjetischen Besatzer. Fortan werden Familien, die »deutsche Faschistenkinder« verstecken, in Gulags transportiert. Die Kinder sind gezwungen, sich in die Wälder zurückzuziehen und dort wie Wölfe zu hausen.
Während ihre Mutter psychisch zugrunde geht, kämpft Ursula wie ein Raubtier. Sie klaut, bettelt und leistet Schwerstarbeit, um am Leben zu bleiben. Aber nach zwei Jahren ist auch sie am Ende und droht zu sterben. Ein litauischer Bauer will die 13-Jährige retten, doch dafür muss sie ihre Mutter opfern. Ursula nimmt das unmoralische Angebot an. Mit ungeahnten Folgen.