Fakten auf einen Blick
- Soldatensender Calais war ein britischer Propagandasender, der von 1943-1945 deutsche Soldaten täuschte
- Der Sender verwendete einen 500-Kilowatt-Transmitter – den stärksten der Welt zu dieser Zeit
- Die Methode „Cover, Cover, Dirt“ mischte echte Musik mit subtiler Desinformation
Es war der 14. November 1943, als deutsche Soldaten an der Westfront einen neuen Radiosender entdeckten.
Der „Soldatensender Calais“ sendete auf 833 kHz und versprach das, was jeder kriegsmüde Soldat hören wollte: aktuelle deutsche Musik, Sportnachrichten und Unterhaltung fernab der schwermütigen Propaganda des Reichsrundfunks. Was die Hörer nicht ahnten: Sie lauschten dem raffiniertesten Täuschungsmanöver des Zweiten Weltkriegs – einem britischen Piratensender, der tief im englischen Sussex versteckt operierte.
Hinter diesem Meisterstück der psychologischen Kriegsführung stand die Political Warfare Executive (PWE), Britanniens Geheimwaffe im Kampf um die Köpfe und Herzen der deutschen Soldaten. Der Sender war das Geisteskind von Sefton Delmer, einem deutsch-australischen Journalisten, der die deutsche Mentalität wie kaum ein anderer verstand.
Das Geniale an Soldatensender Calais war seine Authentizität. Der Sender übertrug tatsächlich Hitler-Reden und offizielle Wehrmacht-Berichte, um Glaubwürdigkeit zu schaffen. Zwischen den harmlosen Programmpunkten wurden jedoch geschickt Desinformationen eingestreut: Warnungen vor angeblichen Betrügern, die Soldaten auf dem Weg zur Ostfront abzockten, oder „vertrauliche“ Informationen über Truppenbewegungen, die bei deutschen Kommandeuren Verwirrung stifteten.
Besonders perfide war die Taktik während der D-Day-Landung am 6. Juni 1944. Der Sender verbreitete bewusst falsche Informationen über das Ausmaß der Invasion und suggerierte, dass die Landungen sich über ein viel größeres Gebiet erstreckten als tatsächlich der Fall war. Diese Desinformation trug dazu bei, die deutsche Reaktion zu verzögern und zu verwirren.
Nach der Befreiung von Calais änderte der Sender seinen Namen in „Soldatensender West“ und operierte bis zum 30. April 1945 – einen Tag vor Hitlers Selbstmord. Ohne jede Ankündigung verstummte die Stimme, die anderthalb Jahre lang Millionen deutscher Soldaten in die Irre geführt hatte.
Der Mythos
Deutsche Soldaten erkannten den Sender schnell als britische Propaganda und hörten ihn nur zur Unterhaltung. Die Täuschung war offensichtlich und hatte keinen Einfluss auf die Moral der Wehrmacht.
Die Realität
Der Sender war so authentisch, dass selbst deutsche Geheimdienstoffiziere ihn für echt hielten. Viele Soldaten vertrauten seinen Informationen mehr als der offiziellen Propaganda. Die psychologische Wirkung war verheerend für die deutsche Moral.
Zum Nachdenken
- Alternativszenarien: Was wäre passiert, wenn Deutschland ähnliche Sender gegen die Alliierten eingesetzt hätte? Hätte eine deutsche „Radio Free America“ die US-Moral untergraben können?
- Moderne Parallelen: Heute kämpfen Staaten mit Fake News, Deepfakes und Social Media-Manipulation um die öffentliche Meinung. Die Methoden des Soldatensender Calais leben in neuer Form weiter. Den technischen Manipulationsmethoden im Zeitalter des INFOWAR sind kaum noch Grenzen gesetzt.
Quellen & weiterführende Literatur
- Delmer, S. (1962). *Black Boomerang.* Secker & Warburg.
- Cruickshank, C. (1979). *The Fourth Arm: Psychological Warfare 1938-1945.* Davis-Poynter.
- Wikipedia.de – Soldatensender Calais
- Bildnachweis: Volksempfänger VE 301 Dyn, NG-2009-110. Quelle: Wikimedia Commons. Lizenz: Creative Commons CC0