True Crime Tuesday
Das Unglück am Djatlow-Pass – Neun Tote im ewigen Eis
Der Fall in Kürze
In der Nacht vom 1. auf den 2. Februar 1959 starben neun erfahrene Skiwanderer am nordöstlichen Hang des Berges Cholat Sjachl im nördlichen Ural unter mysteriösen Umständen. Die Gruppe unter Leitung des 23-jährigen Igor Djatlow hatte ihr Zelt von innen aufgeschlitzt und war barfuß und unzureichend bekleidet in die eisige Kälte geflohen. Sechs starben an Unterkühlung, drei an schweren Verletzungen. Die sowjetischen Ermittler konnten keine plausible Erklärung finden und schlossen den Fall mit dem Verweis auf eine „unbekannte Naturgewalt“ ab.
Die letzte Expedition
Am 23. Januar 1959 brachen zehn Studierende des Polytechnischen Instituts des Urals zu einer 16-tägigen Ski-Expedition auf. Ein Teilnehmer kehrte wegen Gelenkschmerzen um, die anderen neun setzten unter Igor Djatlows Führung ihre Reise fort. Am 1. Februar schlugen sie ihr Lager am Hang des Cholat Sjachl auf – dem „Toten Berg“ in der Sprache der einheimischen Mansi. Es war eine bewusste Entscheidung, trotz schlechter Wetterbedingungen nicht ins geschützte Tal abzusteigen. Diese Entscheidung sollte ihr Todesurteil werden.
Die größten Mysterien
Die Fundumstände waren verstörend: Das Zelt war von innen mit drei horizontalen und einem vertikalen Schnitt aufgeschlitzt worden. Die Wanderer waren barfuß oder nur in Socken in die minus 25 Grad kalte Nacht geflohen. Vier Leichen zeigten schwere Verletzungen – Schädelbrüche, gebrochene Rippen, innere Blutungen. Zwei Opfern fehlten die Augen, einem die Zunge. Radioaktive Spuren wurden auf der Kleidung gefunden. Ein Wanderer war trotz fehlender Äste vier Meter hoch auf eine Zeder geklettert. Die Haut einiger Toter war unnatürlich gebräunt, ihre Haare grau geworden.
Parallelen zu anderen Fällen
Anaris-Unglück (1978)
Acht norwegische Skifahrer starben 1978 in den Anaris-Bergen unter ähnlich mysteriösen Umständen. Auch hier verließen erfahrene Winterwanderer ihr schützendes Zelt und starben in der Kälte. Die Parallelen zum Djatlow-Pass sind frappierend – beide Fälle zeigen, wie selbst erfahrene Bergsteiger unter extremen Bedingungen irrationale Entscheidungen treffen können.
Khamar-Daban-Unglück (1993)
Sechs russische Wanderer starben 1993 im Khamar-Daban-Gebirge nach einem plötzlichen Sturm. Die Überlebende berichtete von blutigem Schaum vor den Mündern der Sterbenden und rätselhaften Umständen. Wie beim Djatlow-Pass blieben viele Fragen unbeantwortet und nährten Spekulationen über unbekannte Naturphänomene.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse
2021 präsentierten Forscher der ETH Zürich eine bahnbrechende Studie: Eine seltene Art von Schneebrettlawine könnte das Unglück verursacht haben. Mithilfe von Computermodellen und Unfallsimulationen zeigten sie, dass eine verzögerte Lawine die schweren Verletzungen erklären könnte. Die Lawine hätte das Zelt getroffen, die Wanderer zur Flucht gezwungen und später die tödlichen Verletzungen verursacht. 2019 kam auch die russische Staatsanwaltschaft nach neuen Untersuchungen zu dem Schluss, dass eine Lawine die wahrscheinlichste Ursache war.
Doc’s Corner: Meine Einschätzung
Als Historiker fasziniert mich dieser Fall durch die Kombination aus dokumentierten Fakten und den daraus resultierenden Rätseln. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Schneebrettlawine sind überzeugend und erklären viele der mysteriösen Umstände. Die jahrzehntelange Geheimhaltung durch sowjetische Behörden nährte Verschwörungstheorien. Und auch ich glaube, dass hier etwas Entscheidendes verheimlicht worden ist. Ich tendiere zu einer Unfallthese. Der Djatlow-Pass zeigt uns die unbarmherzige Macht der Natur und wie schnell erfahrene Bergsteiger in eine tödliche Falle geraten können. Die radioaktiven Spuren lassen sich durch die damaligen Campinglampen erklären, die Thorium enthielten. Doch könnte die Gruppe auf ein anderes Geheimnis gestoßen sein, das nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte.
Mystery-Faktor
Weiterführender Buchtipp

Hardinghaus, Christian: „Die Sucht nach Verbrechen. Wie Internetdetektive in True-Crime-Fällen ermitteln“
Auf Amazon ansehenQuellen und Literatur
- Gaume, Johan & Puzrin, Alexander: „Mechanisms of slab avalanche release and impact in the Dyatlov Pass incident in 1959“, Communications Earth & Environment, 2021
- Russische Staatsanwaltschaft: Offizielle Untersuchungsergebnisse 2019-2020
Bildnachweis
Historische Aufnahme vom Fundort des Zeltes der Djatlow-Gruppe (Februar 1959). Die Fotografie wurde während der offiziellen Untersuchung des Vorfalls aufgenommen. Quelle: Sowjetische Ermittlungsakten, public domain
Ethischer Hinweis
Dieser Blog widmet sich der Analyse wahrer Kriminalfälle mit dem nötigen Respekt und der gebotenen Sorgfalt. Wir sind uns bewusst, dass hinter jedem Fall reale Schicksale stehen.
Datum: 22. Juni 2025 von Christian Hardinghaus